Anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls bediene ich mich heute bei einem Gedanken meiner Frau, um den Einstieg ins Thema zu finden. Als wir nämlich vor ein paar Tagen wieder einmal in einer der vielen Fernsehsendungen zum Jahrestag hörten, dass es immer noch eine beträchtliche Anzahl Menschen in Ost und West gibt, die sich die Mauer oder doch zumindest die alten Zeiten zurückwünschen, da verwies sie darauf, dass das kein neues Phänomen ist. “Das Volk Israel musste auch erst 40 Jahre durch die Wüste wandern, bevor es bereit war, in das gelobte Land zu kommen”, sagte sie.
Und natürlich hatte sie Recht (meine Frau hat immer Recht) – die Parallelen sind wirklich beeindruckend. Da ich nicht erwarte, dass jeder Leser die biblischen Geschichten unmittelbar präsent hat, fasse ich kurz zusammen – wer’s genauer nachlesen will, dem sei das zweite Buch Mose (Exodus) ans Herz gelegt, in dem sich auch noch andere interessante Parallelen zur modernen Gesellschaft finden lassen. Also, das Volk Israel war in Ägypten in Gefangenschaft. Die Israeliten waren das arbeitende Volk der Ägypter, sie mussten Zwangsarbeit verrichten und wurden generell eher an der kurzen Leine gehalten. Dann eines Tages bekam Mose von Gott den Auftrag, das Volk zu befreien und in ein neues Land zu führen. Es gab ein bisschen Ärger mit dem Pharao, aber dann konnten sie los. Und dann… der Weg durch die Wüste hätte etwa zwei Monate gedauert, aber sie brauchten vierzig Jahre dafür. Das Problem war nämlich, dass das Volk in der Zeit der Gefangenschaft seine Identität als Volk verloren hatte. Viele, die in der Gefangenschaft ihr ganzes Leben verbracht hatten, waren nicht dazu in der Lage, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen und sich an der neuen Freiheit zu freuen – sie sehnten sich zurück nach Ägypten, denn dort war es ihnen zwar schlecht ergangen, aber das Schlechte war wenigstens verlässlich gewesen. Und so dauerte es vierzig Jahre, bis die letzten der alten Generation gestorben waren und die junge Generation, die in der Wüste wieder zu einem geeinten Volk geworden war, ins gelobte Land einziehen durfte.
Wahrscheinlich ist es mit unserem Volk sehr ähnlich. Wer vierzig Jahre mit der Teilung gelebt hat, bei dem ist die Teilung im Kopf oft sehr viel fester verwurzelt, als wir oft wahrhaben wollen. Nur gab es für die Deutschen keine Wüste, durch die wir erst mal hätten wandern können (und unsere Nachbarn hätten das sicher falsch verstanden, wenn wir in Scharen bei ihnen eingefallen wären). Aber es wird wohl auch bei uns dauern, bis die letzte Generation “ausgestorben” ist, für die die Teilung noch eine unabänderliche Realität war, bis auch die Mauer in den Köpfen ganz gefallen sein wird. Bis dahin wird es Menschen geben, die sich zurücksehnen – und selbst wenn es widersinnig erscheint, so liegt es doch in der menschlichen Natur, sich in Zeiten persönlicher Unsicherheit zu sehnen nach dem, was man kennt. Sozusagen lieber das sichere Unheil als das unsichere Heil zu suchen – wenigstens bleiben einem dann die Überraschungen erspart. Und wenn dann die Mauer zwischen Ost und West in den Köpfen endlich gefallen ist, dann machen wir uns mal über die Mauern zwischen Bayern und Preussen her…
Schreibe einen Kommentar