Viele Jahre lang war das Europäische Parlament nicht viel mehr als ein zahnloser Papiertiger, in dem drittklassige Abgeordnete ihre Zeit absaßen oder auch nur schnell die Unterschrift auf der Anwesenheitsliste für die Spesenabrechnung leisteten und dann wichtigeren Aufgaben nachgingen. Aber mit dem Vertrag von Lissabon hat sich einiges geändert und die Parlamentarier scheinen gewillt, ihre neuen Kompetenzen aktiv durchzusetzen.
Die EU Kommission reibt sich noch immer verwundert die Augen, was denn da passiert ist – kaum ein paar Tage war das SWIFT Abkommen zwischen der EU und den USA in Kraft, da stimmten die Europaparlamentarier mit deutlicher Mehrheit gegen den Vertrag und machten damit vor allem eins deutlich: ohne das Parlament wird es in Zukunft nicht mehr gehen und Versuche, am Parlament vorbei zu verhandeln, werden nicht einfach hingenommen werden. Was vorher passiert war, ist hinlänglich bekannt, unter dem Stichwort “Datenexport” wurde auch hier darüber berichtet. Verständlicherweise war das Parlament über das Vorgehen wenig entzückt – und bestrafte so wenig später die EU Kommission, indem der Vertrag komplett zurückgewiesen wurde. Hätte man die Parlamentarier von Anfang an beteiligt und nicht in letzter Minute an ihnen vorbei versucht, die Regelung durchzudrücken, hätte sich sicher ein für alle Seiten akzeptabler Vertragstext finden lassen.
Mit dem SWIFT Abkommen ist es aber nicht getan. Erst gestern verabschiedete das Parlament mit überwältigender Mehrheit eine Resolution, in der es sich gegen die geheimen Verhandlungen über das sogenannte Antipiraterieabkommen ACTA ausspricht. Nach dem Vertrag von Lissabon muss das Parlament nämlich “sofort und voll” über alle Phasen internationaler Verhandlungen unterrichtet werden – die Verhandlungsparteien beim ACTA, zu denen auch die EU Kommission gehört, haben aber eine Geheimhaltungsklausel vereinbart, die auch die Abgeordneten des EU Parlaments von der Einsicht ausschließt. Zudem haben die Parlamentarier schon jetzt deutlich gemacht, wie sie zu dem Abkommen stehen, indem sie klare Vorgaben gemacht haben, was – und was nicht – Gegenstand der Verhandlungen sein sollte. Ursprünglich sollte es nämlich vor allem um Produktfälschungen im gewerblichen Ausmaß gehen, bevor die USA die Verhandlungen zum Anlass nahmen, ein dem amerikanischen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) nicht ganz unähnliches Werk zu schaffen, das vor allem auf Internetpiraterie (oder auch was die USA dafür halten) abzielt. Offensichtlich glauben die Abgeordneten den Beteuerungen der EU Verhandlungsführer nicht, dass über den Umweg dieses Abkommens keineswegs grundlegende Freiheiten und anderslautende EU Rechtsvorschriften ausgehebelt werden sollen.
Die EU Kommission täte gut daran, sich mit den Bedenken der Parlamentarier frühzeitig auseinanderzusetzen, sonst droht ihr ein ähnliches Debakel wie beim SWIFT Abkommen. Und wir EU Bürger haben guten Grund, unsere Vertreter in Europa ernster zu nehmen – auch indem wir bei zukünftigen Wahlen mit einer höheren Wahlbeteiligung signalisieren, dass wir ihre Arbeit schätzen.
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