Eines der häufigsten Argumente in Debatten über Datenschutz und staatliche Datensammelwut lautet: “Ich hab ja nix zu verbergen.” Damit lässt sich natürlich gut jegliche Sorglosigkeit begründen – wenn es doch nur darum geht, die Bösen zu fangen, ich aber auf der Seite der Guten stehe, dann habe ich ja nichts zu befürchten.
Leider ist das natürlich Unsinn – und das gleich aus mehreren Gründen. An oberster Stelle würde ich einfach einmal das Grundprinzip der Privatheit nennen. Selbst wenn ich prinzipiell kein Problem damit hätte, wenn irgendein beliebiges Detail aus meinem Leben allgemein bekannt würde, würde ich es ganz schön komisch finden, wenn jeder alles über mich wüsste. Ich habe zwar nichts zu verbergen – aber trotzdem geht noch längst nicht alles, was ich nicht zu verbergen habe, andere etwas an. Deswegen haben wir nicht auf offener Straße Sex und auf dem Klo gibt es eine Tür. Und genau wie das der Allgemeinheit gegenüber gilt, habe ich auch ein Recht darauf, dem Staat gegenüber einzufordern, dass bestimmte Dinge privat bleiben. Man stelle sich nur den Aufschrei in der Bevölkerung vor, wenn unsere Autos an eine zentrale Datenbank melden würden, wann wir wo genau gewesen sind und wen wir da besucht haben – für mehrere Jahre auf Vorrat, falls mal irgendwo jemand eine Fahrerflucht begangen hat. Zu Recht würden die 99.9% rechtschaffenen Autofahrer, die natürlich nie Fahrerflucht bei einem Unfall begehen würden, sich pauschal unter Verdacht gestellt sehen und ein solches Vorhaben hätte keine Chance auf Umsetzung. Geht es aber um Internetnutzung, dann soll das alles auf einmal anders aussehen? Wieso ist es da plötzlich in Ordnung, pauschal alle Nutzer unter Verdacht zu stellen und sämtliche Verkehrsdaten zu protokollieren und zu speichern, weil ja mal jemand was Verbotenes machen könnte? Naja, wir haben ja nichts zu verbergen…
Niemand ist dagegen, dass solche Daten gegebenenfalls zur Aufklärung schwerer Straftaten herangezogen werden. Denn die wollen wir ja auch gern aufgeklärt sehen, keine Frage. Das Problem liegt in der Methode – denn um alle Einbrüche dieser Welt aufzuklären, könnten wir natürlich auch einfach jedem einen GPS-Chip einpflanzen und protokollieren, wo sich jeder Mensch zu welcher Zeit aufgehalten hat. Das würde funktionieren und die Polizei fände es wahrscbeinlich toll – genau wie jeder, bei dem schonmal eingebrochen wurde. Nur weckt eine solche Datenbank schnell auch andere Begehrlichkeiten. Eines Tages geht es vielleicht nicht mehr um Einbrüche, sondern um die Teilnahme an einer Demonstration. Oder, um mal beim Autofahrerbeispiel von eben zu bleiben, darum ob jemand an der Ampel angehalten oder doch noch so gerade eben bei Rot (also als ich hingesehen habe, war’s noch Gelb) drübergefahren ist. Der Strafzettel kommt gleich automatisch, das Geld wird vom Konto abgebucht. Genauso ist es bei der Vorratsdatenspeicherung im Internet – heute geht es um schwere Straftaten (wobei sich die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt, wenn 100% der Bevölkerung überwacht werden, um vielleicht 0.1% Straftäter zu überführen), aber schon laufen sich die Contentanbieter warm und fordern einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch. Schließlicb sind die Daten ja jetzt einmal da…
Dazu kommt, dass ja auch völlig unklar ist, wer diese Daten tatsächlich in die Finger bekommt. Was glauben sie, wie glücklich Hitler gewesen wäre, wenn die Demokratie der Weimarer Republik ihm die Überwachungsinstrumente schonmal gleich frei Haus geliefert hätte. Die Demokratie von heute spielt vielleicht der Diktatur von morgen in die Hände. Das mag weit hergeholt klingen… aber da für eine Diktatur ja oft eine laute Minderheit und eine schweigende Mehrheit ausreichen, könnten wir näher dran sein, als uns lieb ist.
Der dritte Punkt, wo das “nix zu verbergen” Argument schiefliegt: was ich heute mit Stolz mache, kann mir schon morgen peinlich sein. Wie viele Jugendliche veröffentlichen (weil sie ja nix zu verbergen haben) Bilder von Sauf- und Drogenparties im Internet und wünschen sich Jahre später, sie könnten das irgendwie rückgängig machen, weil es doch bei der Bewerbung auf den Job mit Aufstiegschancen eher hinderlich ist? Früher konnte man über seine Jugendsünden noch irgendwie den Mantel des Vergessens breiten – heute kann man sie bei Google nochmal raussuchen. Und andere natürlich auch. Wir überblicken oft nicht, ob das, was wir heute als unbedenklich betrachten auch in fünf Jahren noch so gesehen wird.
“Nichts zu verbergen” haben heißt nicht, das jeder alles wissen darf. Weder heißt es, dass ich alles rausposaunen muss, was es über mich zu wissen gibt, noch dass der Staat und seine Organe ein Recht darauf haben, vorsorglich schonmal alles zu sammeln, was vielleicht mal interessant werden könnte. Ich habe nichts zu verbergen und meine Frau weiß sehr viel über mich – aber trotzdem gehe ich immer noch allein aufs Klo und mache die Tür zu, denn manche Dinge sind und bleiben besser privat.
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